Wer an Paris denkt, denkt an Liebe, Kunst, Kultur und Haute Couture. Und vielleicht auch daran, dass die Stadt im Zweiten Weltkrieg verschont blieb und kaum zerstört wurde. In diesem Paris 1944 spielt der Roman „Die Buchhändlerin von Paris“.1* Rezensionsexemplar vom Goldmann Verlag Und im New York der Fünfziger. Das in der Nachkriegszeit einen Aufschwung erlebte und Paris als Zentrum der Kunstwelt ablöste. Charlotte Foret und ihre Tochter Vivi sind die Hauptpersonen in der Erzählung von Autorin Ellen Feldman. Sie verflechtet geschickt die Erzählstränge aus dem Paris 1944 gegen Ende der deutschen Besetzung und dem New York der Fünfziger Jahre. Ihr Roman heißt im Original „Paris never leaves you“ und erschien bereits 2020.
“History tells us what people do; historical fiction helps us imagine how they felt.”
Guy Vanderhaeghe, Autor historischer Romane
Roman: Die Buchhändlerin von Paris
[white_box]Klappentext: Frankreich, 1944. Charlotte Foret arbeitet in einer kleinen Buchhandlung im besetzten Paris. Auf sich allein gestellt kämpft sie nicht nur um ihr eigenes Überleben, sondern auch um das ihrer kleinen Tochter Vivi. Als diese erkrankt, nimmt Charlotte die Hilfe des deutschen Arztes Julian an. Es ist ein Akt der Verzweiflung, der sie das Leben kosten könnte. Für Julian hingegen wird Charlotte zur großen, unmöglichen Liebe. Kurz vor Kriegsende, den Tod vor Augen, gelingt es ihm, die junge Frau und sich selbst zu retten. Charlotte emigriert nach New York und glaubt, die Vergangenheit hinter sich lassen zu können. Bis Vivi beginnt, Fragen zu stellen …[/white_box]
Die erste Szene riss mich zwar mit, aus Ekel wollte ich das Buch schon wieder weglegen. Bildhaft beschreibt Ellen Feldman eine öffentliche Vergewaltigung einer Frau von Soldaten. Paris 1944, kurz vor der Befreiung. Erleichtert startete ich dann ins erste Kapitel, ins New York der Fünfziger. Ein Verlagsgebäude und Lektorin Charlotte Foret, die für den Verlag Gibbon & Field und Verleger Horace Field zahlreiche Manuskripte lektoriert. Und einen guten Draht zu Horace pflegt. Ich lerne Charlottes Tochter Vivi kennen. Die Fragen zu ihrem Vater stellt und Charlotte damit in Erklärungsnot bringt. Auch Vivis Wunsch eine Synagoge zu besuchen, ist Charlotte unangenehm. Sie findet Religion gefährlich. Erst Hitler hätte sie zur Jüdin gemacht, sagt sie.
Feldman eröffnet zwei Erzählstränge und lässt mich aus dem New York der Fünfziger über Charlottes Erinnerungen in das Paris 1944 eintauchen. Kurz vor der Befreiung. Ich erlebe die Protagonistin, wie sie versucht zu überleben und das Überleben ihrer Tochter zu sichern. Sie arbeitet als Buchhändlerin und erhält täglich Besuch von einem Wehrmachtsoffizier. Mit dem sie sich einlässt. Julian ist Arzt und rettet Vivi das Leben, weil er Medikamente besorgen kann. Eine Jüdin und ein jüdischer Wehrmachtsoffizier. Der ihr zur Flucht verhelfen will.
Die Autorin: Ellen Feldman
Ellen Feldman ist eine amerikanische Schriftstellerin und wurde 1941 geboren. „Die Buchhändlerin von Paris“ erschien bereits 2020 unter dem Originaltitel „Paris never leaves you“ im St. Martin’s Griffin Verlag in Amerika und wurde aus dem Englischen von Thomas Stegers übersetzt. Feldman wuchs in New Jersey auf und studierte moderne Geschichte an der Privathochschule Bryn Mawr College.2Quelle: Wikipedia Bryn Mawr College Es war die erste Hochschule die Frauen Hochschulabschlüsse einschließlich Promotionen anbot. Gegründet wurde sie von Joseph W. Taylor und gehört zu zwei anderen von Quäkern3Quelle: Wikipedia Quäkertum gegründeten Colleges – dem Swarthmore College und dem Haverford College, als Teil des Tri-College Consortium.4Quelle: Wikipedia Tri-College Consortium Die Studierenden können an allen drei Hochschulen Kurse besuchen.
Ellen Feldman erhielt 2009 ein Guggenheim Stipendium5Quelle: Wikipedia Guggenheim Stipendium in der Kategorie Creative Art in der Studienrichtung Fiction. Das Stipendium ist für erfahrene Berufstätige, hauptsächlich Nordamerikaner, ein kleinerer Anteil an Lateinamerikanern und karibischen Staatsbürgern. Die Stipendianten werden zwischen sechs bis zwölf Monate gefördert. Dies soll ihnen die Möglichkeit geben „ihre Arbeit mit größtmöglicher schöpferischer Freiheit durchzuführen“.
Ellen Feldman arbeitete für ein New Yorker Verlagshaus, lebt in New York City und East Hampton, New York mit ihrem Mann und ihrem Terrier Charlie. Sie hat zahlreiche Vorträge in Amerika, Deutschland und England gehalten. Die 82-jährige gibt Interviews auf Youtube oder Buchblogs. Auf ihrer Website ellenfeldman.com listet sie die Videos und Artikel auf.
Die Kunst- und Lifestyle-Bloggerin Christa sprach mit Ellen Feldman und veröffentlichte das Interview auf ihrer Seite The Avid Pen. Auf die Frage, wann Feldman ihren ersten Roman schrieb, antwortete die Schriftstellerin, nachdem sie auf einer Weihnachtsfeier vom Verleger gefeuert worden war. Durch ein Missverständnis erhielt sie die Kündigung, hielt sich mit Texterarbeit über Wasser und schrieb nebenbei ihren Debütroman „Lucy – ein Präsident. Eine Ehe. Eine Liebesaffäre.“ (2003). Eine Liebesgeschichte im Ersten Weltkrieg.
Feldman ist der festen Überzeugung, dass unsere Erinnerungen auf die Ereignisse zurückgehen, die unsere Eltern miterlebt haben. Ihre Mutter hatte oft über den Krieg gesprochen und ihr Onkel, der als Chirurg in England und Frankreich diente, hat seine Erlebnisse nie ganz überwunden. Sie interessierte sich besonders für den zweiten Weltkrieg.
Einer ihrer früheren Romane „Der Junge, der Anne Frank liebte“ wurde in neun Sprachen übersetzt und „Terrible Virtue“ sollte bereits 2016 verfilmt werden. Darin erzählt Feldman die Geschichte von Margaret Sanger, der Mutter der Geburtenkontrolle, der Gründerin von Planned Parenthood und einer Vorkämpferin für Frauen in der ganzen Welt. Einen Film gibt es bislang nicht und könnte am Thema liegen. Am 24. Juni 2022 kippte das Supreme Court mit fünf zu vier Stimmen das landesweite Recht auf Abtreibung. Der Verfassungsrichter Clarence Thomas stellte nach der Aufhebung von „Roe v. Wade“ auch eine frühere Entscheidung des Supreme Court über den Zugang zu Verhütungsmitteln in Frage. 6Quelle: Tagesschau, Verhütungsmittel sollen verfügbar bleiben
Der Zweite Weltkrieg in Paris
Die deutsche Besetzung Frankreichs begann am 22. Juni 1940 und endete am 24. August 1944. Mitte August 1944 startete ein Generalstreik, dem ein offener Aufstand der französischen Widerstandskämpfer folgte. Nachdem die Aufständischen die Stadt kontrollierten und die Alliierten das Zentrum erreichten, kapitulierte der deutsche Stadtkommandant Dietrich von Choltitz unter Missachtung der Befehle Hitlers gegenüber den Kräften der Résistance (ein Sammelbegriff für französische, belgische und luxemburgische Bewegungen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus während des Zweiten Weltkriegs).7Quelle: Wikipedia Befreiung von Paris
Das New York der 50ziger Jahre
Während viele große Städte nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lagen, erlangte New York City eine neue globale Bedeutung. Es wurde Sitz des Hauptquartiers der Vereinten Nationen (1947-1952), übernahm die Rolle von Paris als Zentrum der Kunstwelt und wurde zum Rivalen von London auf den internationalen Finanz- und Kunstmärkten. Midtown Manhattan erlebte, angeheizt durch den Nachkriegswohlstand, einen beispiellosen Bauboom, der das Erscheinungsbild der Stadt stark veränderte.8Quelle: Wikipedia History of New York City (1946 – 1977)
Literatur im Zweiten Weltkrieg
Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 veränderte die Arbeitsbedingungen für Schriftsteller, Autoren und Kulturschaffende grundlegend. In seiner Regierungserklärung vom 23. März 1933 gab Hitler bekannt, den „Volkskörper“ entgiften und moralisch sanieren zu wollen. Theater, Film, Literatur, Presse, Rundfunk, all das sollen Mittel zu diesem Zweck sein. Am 26. April 1933 erschien eine Liste „verbrennungswürdiger“ Bücher. Auf schwarzen und weißen Listen wurden verbotene und erlaubte Autoren aufgeführt.
Am 10. Mai 1933 kam es zur Bücherverbrennung, die entgegen der verbreiteten Meinung eine „zeitlich gesteuerte, organisatorische, exakt geplante Kampagne“ war.9Quelle: vgl. Deutsche Literaturgeschichte Von den Anfängen bis zu Gegenwart, 9. Auflage, J. B. Metzler, S. 441 Im September 1933 veröffentlichte die Prager Exilzeitschrift Neue Deutsche Blätter einen Artikel, in dem drei Möglichkeiten für Autoren aufgezeigt wurden: man könne in Deutschland bleiben und getarnt aus sprachlichem Hinterhalt den Faschismus angreifen, „man kann, anonym, für die illegale Literatur im Lande und für die antifaschistische Presse im Ausland arbeiten. Man kann schließlich über die Grenze gehen und vom Ausland her zu den Deutschen sprechen“.10Quelle: vgl. Deutsche Literaturgeschichte Von den Anfängen bis zu Gegenwart, 9. Auflage, J. B. Metzler, S. 437 ff.
Am 15. November 1933 legte die Reichskulturkammer im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Goebbels fest, wer sich kulturell betätigen durfte und wer nicht.11Quelle: vgl. Deutsche Literaturgeschichte Von den Anfängen bis zu Gegenwart, 9. Auflage, J. B. Metzler, S. 441 Als Exilliteratur wird die Epoche zwischen 1933 und 1945 bezeichnet.12Quelle: abi.unicum.de
Keine Heldin im Krieg
Ellen Feldman verwebt den zweiten Weltkrieg in einer Liebesgeschichte und zeigt in bildhafter Sprache, wie das Leben einer normalen Frau gewesen sein muss. Diese These gibt sie auch in zahlreichen Interviews zu „Paris never leaves you“ oder „Die Buchhändlerin von Paris“ preis. Und dem wird sie mit dem Buch gerecht. Charlotte ist keine Kriegsheldin. Sie ist Mutter und Jüdin im besetzten Paris. In einem brutalen Krieg.
Sprachlich gelingt Feldman „das Kino im Kopf“, auch wenn es schreckliche Szenen sind. „Sie hatten die Frau entkleidet, bis auf den BH und die Unterhose, fadenscheinige, schmutzig weiße Fetzen von Würde oder Scham oder eines fast vergessenen Anstands aus besseren Tagen.“
Oder
„»Tu so, als würden wir tanzen«, sagte er, packte mit der anderen Hand ein Rad und rollte mit seiner lebenden Fracht aus seinem privaten Arbeitszimmer in das Labyrinth aus Schreibtischen im Großraumbüro.“
Einerseits ein Segen für mich als Leserin, weil sich ein Film abspielt, andererseits bläht die Autorin die Erzählung auf. Und sie verläuft sich innerhalb der Erzählstränge in ausurfernden Geschichten.
Weiterführende Links
„Exilliteratur: Das sind die Merkmale der Epoche (1933–1945) – Heimweh und Widerstand gegen das NS-Regime“ – unicum.de
[yellow_box] * Vielen Dank an den Goldmann Verlag, der mir „Die Buchhändlerin von Paris“ über das Bloggerportal als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Während des Lesens bilde ich mir meine Meinung und schreibe sie auf. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich das Buch geschenkt bekommen, es selbst gekauft habe oder es mir als kostenfreies Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde.[/yellow_box]
[yellow_box]Weitere Buchbesprechungen findest du in meinem Podcast „Die Bücherstaplerinnen Podcast“ in dem ich mit Antje Tomfohrde vom Buchblog Das Buchzuhause über Bücher spreche. [/yellow_box]
Schreibe einen Kommentar