Der Tod trifft uns alle. Doch kaum jemand spricht darüber, dass unser Leben endlich ist. Den Hinterbliebenen bleibt zu klären, was zu Lebzeiten gern vernachlässigt wird. Viele Fragen bleiben offen. Meistens geht es um die analoge und greifbare Erbmasse. Doch immer mehr Menschen haben eine digitale Identität. Was soll mit dem PayPal-Konto, dem Facebook-Account und den Sprachnachrichten im Messenger geschehen? Welche rechtlichen Bedingungen gelten? Wie verändert sich unsere Erinnerungskultur? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Wissenschaftler, Buchautoren und Anwälte für Erbrecht.
Laut einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom im Oktober 2021 kümmern sich bereits 40 Prozent der Internetnutzer in Deutschland um ihr digitales Erbe. 2019 waren es erst 31 Prozent und 2017 gerade einmal 18 Prozent. Teilweise geregelt haben den digitalen Nachlass zumindest 24 Prozent. Weitere 16 Prozent haben ihn vollständig festgelegt und 53 Prozent ist bewusst, dass sie sich um dieses Thema kümmern müssten. 28 Prozent möchten, dass ihre Social-Media-Konten erhalten bleiben.
Das digitale Erbe auf sozialen Netzwerken selbst regeln
Soziale Netzwerke bieten verschiedene Möglichkeiten an, den Nachlass zu regeln. Bei Facebook sind es gleich drei Optionen, die in den allgemeinen Kontoeinstellungen zu finden sind. Entweder organisiert der Kontoinhaber zu Lebzeiten einen sogenannten Nachlasskontakt, also eine Person, die ebenfalls ein Profil auf Facebook hat. Sie kann Gedenkbeiträge verwalten, das heißt, sie bestimmt, wer auf dem Profil im Gedenkzustand etwas veröffentlichen oder sehen darf. Ebenso können Nachlassverwalter Beiträge löschen, Markierungen entfernen und neue Freundschaftsanfragen beantworten. Zudem können sie beantragen, das Konto zu entfernen.
Diese Einstellungen gelten für alle Aktivitäten nach dem Tod. Oder eine weitere Möglichkeit ist festzulegen, dass Facebook das Konto nach dem Tod löschen soll. Das hängt mit der dritten Option zusammen: dem Antrag auf Herstellung des Gedenkzustandes. Jeder, der eine Sterbeurkunde hochlädt, kann diesen Antrag stellen. Mit dem Einreichen wird die Löschung des Kontos eingeleitet, wenn der Verstorbene das zuvor hinterlegt hat.
Auf dem sozialen Netzwerk Instagram, das wie Facebook zum Konzern Meta gehört, wird das Konto nur in den Gedenkzustand versetzt. Auch hier benötigt man eine Sterbeurkunde. Auf der Microblogging-Plattform Twitter ist lediglich ein Antrag auf Löschung möglich. Das allerdings laut Twitter-Website nur, wenn der Antragsteller „entsprechend den Nachlassbestimmungen bevollmächtigt ist, oder ein nachweislich unmittelbares Familienmitglied mit uns Kontakt aufnimmt, um den Account zu deaktivieren.“ Twitter kommuniziert über E-Mail und fordert Ausweispapiere und Sterbeurkunde ein.
Das Business-Netzwerk LinkedIn gibt über den Support die Möglichkeit, die Entfernung des Kontos anzufragen. Sobald ein Mitglied als verstorben gemeldet wird, wird das Konto ausgeblendet, ist nicht mehr sichtbar und über die Suchfunktion nicht mehr auffindbar. Als berechtigte Person kann man laut Website im Namen des verstorbenen Mitglieds handeln. Das Profil kann in den Gedenkzustand versetzt oder dauerhaft gelöscht werden. Den sozialen Netzwerken ist gemein, dass es keine Möglichkeit gibt, direkten Kontakt mit dem Hilfecenter aufzunehmen. Ähnlich verläuft die Handhabung bei PayPal. Nachlassverwalter können über eine E-Mail-Adresse alle Dokumente einreichen. Dazu zählen laut Website: „Alle Nachweise, die belegen, dass Sie berechtigt sind, den Nachlass des Verstorbenen (zumindest in Finanzangelegenheiten) zu verwalten.“
„Die gesetzlichen Regelungen im Erbrecht sind sehr konstant“
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt ab § 1922 ff. die Übertragung des Vermögens einer verstorbenen Person, auf deren Erben – kurz: das Erbrecht. „Es gilt auch für den digitalen Nachlass“, erklärt Dr. Stephanie Funk, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Erbrecht und Autorin des Buchs „Das Erbe im Netz – Rechtslage und Praxis des digitalen Nachlasses“ [Affiliate-Link*], das sie 2016 veröffentlichte. Darin schildert sie den Fall einer Mutter, die 2012 gegen Facebook klagte, weil das Unternehmen das Konto der minderjährigen Tochter in den sogenannten Gedenkzustand versetzt hatte. Die Tochter starb im Alter von 15 Jahren, nachdem sie in einem U-Bahnhof unter ungeklärten Umständen von einer einfahrenden Bahn erfasst worden war. Die Mutter hoffte darauf, über das Facebook-Konto Informationen über mögliche Absichten ihrer Tochter zu erhalten.
Die Klage wurde erst im Jahr 2018, nach zwei Instanzen, durch den Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Im Anschluss befasste sich der BGH im Jahr 2020 erneut mit dem Sachverhalt, da sich der Streit über den Umfang des Erbes fortsetzte. Die Mutter darf das Konto nicht aktiv nutzen. „Ich gehe davon aus, dass zunächst nach diesen beiden recht aktuellen Grundsatzurteilen des BGH keine Rechtsprechungsänderung ansteht. Die Praxis wird sich bis auf Weiteres an dem momentanen Rechtsstand zu orientieren haben“, so die Einschätzung von Stephanie Funk.
Gestützt durch die Rechtsprechung werden es Erben in Zukunft leichter haben, den Zugriff von Anbietern sozialer Netzwerke zu fordern. Die Auseinandersetzung mit Anbietern, die vielfach im Ausland angesiedelt sind, und dem dadurch zähen Prozedere erfordere umso mehr eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema. „Insbesondere muss private Vorsorge durch eine Kombination von Testament und Passwortlisten betrieben werden“, so die Anwältin. Im Testament können konkrete Regelungen getroffen werden. „Besonders relevant wird es darüber hinaus aber sein, eine Liste über sämtliche in Betracht kommenden Nutzungsverhältnisse anzulegen, wie zum Beispiel Online-Banking, Abos, E-Mail-Accounts etc., sowie die dazugehörigen Benutzernamen und Passwörter zu verzeichnen. Selbstverständlich macht dies nur dann Sinn, wenn diese Liste stets aktuell gehalten wird.“
Das Internet vergisst nicht
Christopher Eiler, Chief Marketing Officer der Rapid Data GmbH, machte die persönliche Erfahrung und erhielt mehrfach die Geburtstagserinnerungen von verstorbenen Personen über ein Business-Netzwerk. „Das war eine Motivation, eine Software zu entwickeln, die das mit einem Klick erledigt. Die persönlichen Erfahrungen damit, dass das Internet, wie man so schön sagt, nicht vergisst. Und manche Dinge einfach nicht wissen kann.“ Außerdem war er auf der Suche nach einem geeigneten Geschäftsmodell für ein Start-up. Daraus ist in der Zwischenzeit Deutschlands führendes Haus für Bestattungssoftware geworden, das er gemeinsam mit seinem Bruder als Gesellschafter und Manager führt.
„Das ehemals sogenannte Formalitätenportal ist als Produktmarke in das Gesamtportfolio eines B2B-Tech-Dienstleisters gewandert und heißt heute Abmeldeassistent“, erklärt Christopher Eiler. „Der Abmeldeassistent hat sich über die Jahre als das nützlichste Tool für Bestatter und Hinterbliebene herausgestellt.“ Neben den sozialen Netzwerken geht es in der Nachlassverwaltung oft um Verträge. Viele wurden analog abgeschlossen und im Laufe der Zeit digitalisiert. Das Erben von Verträgen ist oftmals mit Kosten verbunden.
Der Softwarespezialist erläutert: „Das macht es noch mal besonders interessant, dafür zu sorgen, dass so ein Vertrag dann auch zeitgerecht gekündigt werden kann. Mit dem Abmeldeassistenten können Verträge wie Versicherungs- oder Mobilfunkverträge, Social-Media-Accounts oder Zeitungsabos durch einen einfachen Klick gekündigt, gelöscht oder auch übertragen werden.“ Teilnehmende Bestatter stellen das Tool auf der Website mit über 200 000 Unternehmens- und Produkteinträgen zur Verfügung. Selbst unbekannte Onlinekonten des Verstorbenen lassen sich so aufspüren. Hinterbliebene können gebündelte oder einzelne Recherchen bei allen Organisationen, Institutionen und Unternehmen durchführen.
Digitale Erinnerungspraxis
Lorenz Widmaier promoviert an der Cyprus University of Technology und widmet sich in seinem Forschungsprojekt der Bedeutung digitaler Hinterlassenschaften. Er erforscht digitale Trauer- und Erinnerungspraktiken.
Das Projekt beschreibt Lorenz Widmaier auf seiner Website memoryanddeath.com: „Wer heute stirbt, hinterlässt ein umfangreiches und persönliches digitales Erbe mit unzähligen Fotos auf Smartphones, Sprachnachrichten, Videos, Chat-Protokollen oder Social-Media-Konten. Diese Daten veranschaulichen alle Lebensbereiche, die alltäglichsten und die intimsten. Die Studie untersucht, welche Bedeutung diese digitalen Hinterlassenschaften für die Hinterbliebenen haben, wie sie auf diese zugreifen und organisieren und wie sie sie für private und öffentliche Trauer- und Erinnerungspraktiken nutzen.“
Widmaiers Ziel ist es, zu erforschen, „was geschieht mit meiner Trauer, wenn ich das digitale Erbe plötzlich zur Verfügung habe? Und da ist dann natürlich auch die Frage, was ist eigentlich neu daran? Bilder gab es davor schon. Wo unterscheiden sich die Erinnerungsmöglichkeiten, die man im vor-digitalen Zeitalter hatte?“. Um fundierte Ergebnisse zu erhalten, hat der Wissenschaftler für seine Studie 33 Personen interviewt. Mit der großen Bandbreite möchte er möglichst viele unterschiedliche Perspektiven sammeln. All seinen Probanden ist gemein, dass sie bereits Eltern, Kinder oder einen anderen ihnen nahestehenden Menschen verloren haben.
„Natürliche Tode, sofern es das heute noch gibt, aber auch Krankheit oder plötzlicher Tod durch Unfall, auch Suizidfälle und zwei Mordfälle waren dabei. Da gibt es auch immer unterschiedliche Perspektiven auf den digitalen Nachlass und andere Fragen, die man damit beantworten will. Also gerade bei Suizid gibt es die drängenden Fragen, warum zum Beispiel, und seit wann gab es die Gedanken“, so der Wissenschaftler. Zwei Hürden, die viele Hinterbliebene mit dem Sichten des digitalen Erbes überwinden mussten, waren erst einmal das Auffinden der Zugangsdaten. Und dann der Umgang mit der Privatsphäre, wie zum Beispiel private Nachrichten über den Messenger. „Erst wenn das geklärt ist, kann man sich damit auseinandersetzen und dann mit diesen Daten erinnern und trauern“, sagt Lorenz Widmaier.
Rechtsanwältin Stephanie Funk rät: „Wir sollten die Thematik zum Anlass nehmen, uns zu überlegen, wie im Todesfall die Erben mit unserem digitalen Fußabdruck umzugehen haben. Wenn man nicht möchte, dass die sozialen Profile eingesehen werden, sollte man das mit potenziellen Erben besprechen und im Testament festhalten. Es ist empfehlenswert, den Bevollmächtigten oder Erben eine Art Gebrauchsanweisung an die Hand zugeben. Was soll gelöscht werden? Was soll erhalten werden? Sollen Accounts in den Gedenkzustand versetzt werden? Welche Abonnements müssen gekündigt werden?“
Weitere Leseempfehlungen und Links
In meinem Storytelling-Podcast „Format follows Story“ habe ich mich mit Heike Stiegler über das digitale Erbe unterhalten. Wie können unsere Hörer:innen sensibilisieren, damit sich mehr Menschen um ihr digitales Erbe kümmern? Dieser Frage gehen wir in Folge 14 „Wie sprechen wir über den digitalen Nachlass?“ nach.
Thomas Laudenbach gibt auf DigitalerNachlass.net Tipps und Infos zu den Themen digitaler Nachlass, Erbe und Testament.
Digital danach ist ein unabhängiges Infoportal zu den Themen digitales Erbe, Online Trauer und Gedenken im Netz.
Sarah Benz schreibt und spricht auf ihrer Seite Sarggeschichten über Tod und Trauer. Sie erklärt und erzählt auch über Social Media, z. B. Twitter und Instagram.
Informationen zum digitalen Nachlass gibt es auch auf der Website des Bundesministeriums für Justiz.
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