Wir tragen Hosen. Wir lieben sie. Sie geben Freiheit. Danke, dass es uns gestattet ist. Doch wehe, wir müssen nachts auf der Landstraße mal… dann merken wir, dass die Freiheit doch noch eingeschränkt ist. Männer steigen aus, erledigen das Nötige, steigen wieder ein, fahren weiter. Wir suchen Deckung, frieren, improvisieren.Freiheit in Theorie und Praxis sind eben nicht dasselbe.
Ich freue mich sehr, dir heute Susanna Constantin als neue Autorin auf meinem Blog vorzustellen. Susanna lebt als Übersetzerin und Romanautorin in Südtirol. In ihrer Kolumne „Das feministische Greenhorn“ regt sie sich leidenschaftlich und mit spitzer Feder über Dinge auf, die uns Frauen heute, im 21. Jahrhundert, eigentlich längst nicht mehr beschäftigen sollten. Hier auf dem Blog wird sie regelmäßig Gastartikel zu feministischen Themen veröffentlichen. Ich freue mich auf ihre Perspektiven und die Bereicherung, die ihre Texte für uns alle sein werden.
Hosenverbot bis 2013
Historisch gesehen war die Hose lange ein männliches Privileg. Jahrhunderte lang trugen Frauen Kleider und Röcke, die ihre Rolle als „zierlich“, „häuslich“ und gesellschaftlich angepasst betonen sollten. Erst mit sozialen Umbrüchen und Kriegen begann sich das zu ändern. Im 19. Jahrhundert wagten Pionierinnen in den USA und Europa, sogenannte „Bloomers“ – benannt nach der Aktivistin Amelia Bloomer – öffentlich zu tragen. Sie wurden verspottet, ausgelacht und oft gesellschaftlich geächtet. Keine bloomigen Zeiten für diese Pionierinnen. In Paris wurde das Hosenverbot für Frauen erst 2013 formal aufgehoben, auch wenn kluge und rebellische Französinnen ihre Hosen längst trugen.
Die Weltkriege brachten einen ersten pragmatischen Wendepunkt: Frauen arbeiteten in Fabriken, auf Feldern, übernahmen Männeraufgaben und benötigten Hosen. Im Rock waren sie in ihren Bewegungen eingeschränkt und damit nicht produktiv genug. Nach dem Krieg verschwand das Beinkleid wieder in den Kleiderschränken. Dann kam Coco Chanel, gefolgt von Yves Saint Laurent, und machte die Hose salonfähig: sie war eben nicht nur praktisch, sondern stand ab sofort für die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Frau von Welt. Chanel zeigte, dass Kleidung mehr sein kann als Mode: die Hose wurde zum Statement der Emanzipation. Danke, Coco!
Von Chino bis Baggy: zehn Schnitte, drei Stoffe, fünf Einsatzzwecke. Chinos betonen die Hüfte, Mom-Jeans den Hintern, Cordhosen verwandeln uns in coole Hippies, Baggy-Pants lassen die 90er aufleben. Leinenhosen lassen die Schenkel im Sommer nicht aneinander reiben, Hotpants können sportlich wirken, Overalls und Jumpsuits stylisch – je nach Körperbau. Hosen sind praktisch, sexy, warm, vielseitig.
Wenn Hosen stören
Und doch gibt es die Krux: Was, wenn frau mal muss und kein Klo weit und breit zu finden ist? Dann wird die Hose zum Hindernis. Niederhocken, ausziehen, hoffen, dass kein verrückter Nachtschwärmer vorbeikommt, frieren, improvisieren. Männer kennen dieses Problem kaum. Freiheit hat also ihre Grenzen, und wir erleben sie jeden Winterabend auf einsamen Landstraßen.
Potty Parity: Gerechtigkeit auf öffentlichen Toiletten
Potty Parity, die sogenannte Töpfchenparität, steht für die gleichberechtigte Ausstattung öffentlicher Toiletten für Frauen und Männer. Sie kann durch gleiche Bodenfläche, gleiche Anzahl an Vorrichtungen oder ein angepasstes Verhältnis von bis zu 4:1 zugunsten der Frauen erreicht werden. Ziel ist es, längere Nutzungszeiten und häufigere Besuche von Frauen zu berücksichtigen. Frauen verbringen aus physiologischen und kulturellen Gründen mehr Zeit in Toiletten. Kabinen statt Urinale verlängern die Nutzung, Schwangerschaft, Menstruation und Harnwegsinfektionen führen zu häufigeren Besuchen. Hinzu kommen gründlicheres Händewaschen und das Wickeln von Babys.
Historische Rückschritte und Fortschritte
Die Geschichte zeigt, wie lange Frauen auf angemessene Toiletten warten mussten. Im US-Kapitol erhielten weibliche Abgeordnete erst 1962 eine Toilette. Kalifornien verabschiedete 1989 den ersten „Restroom Equity Act“. US-Senatorinnen bekamen 1992 Toiletten auf Kammerebene, das Repräsentantenhaus erst 2011 ein Frauenbad nahe der Kammer. In China führten Proteste 2012 in Guangzhou zu Regelungen für 1,5-mal größere Frauentoiletten. In Indien startete 2011 die „Recht auf Pee“-Kampagne in Mumbai gegen kostenpflichtige Frauentoiletten.
Internationale Vorschriften
Die Vorschriften variieren weltweit. Großbritannien schreibt ein 1:1-Verhältnis vor, die Internationale Bauordnung fordert meist 1:1, bei Versammlungen bis zu 2:1. New York City erließ 2005 ein Gesetz für etwa 1:1. In den USA schwanken die Vorgaben zwischen 1:1, 3:2 und 2:1.
Situation im DACH-Raum
In Bayern sorgt § 12 der Versammlungsstättenverordnung für mehr Toiletten für Männer als für Frauen. Das Ergebnis: Frauen warten bei Großveranstaltungen oft drei- bis viermal so lange.
Ähnlich sieht es im restlichen Deutschland aus. Um echte Gleichheit zu schaffen, müsste der Raum für Männer um den Faktor 2,3 zugunsten der Frauen reduziert werden. Alternativen wie das „Missoir“, ein wasserloses Hockurinal, wurden in Leipzig getestet. Frauenurinale werden seit 2022 in Berlin erprobt.
Die deutsche Arbeitsstättenverordnung erlaubt Unisex-Toiletten, Einzelkabinen oder getrennte Nutzungszeiten, schreibt aber meist getrennte Toiletten vor.
In der Schweiz regelt das Arbeitsgesetz Toiletten nach Betriebsgröße. Kleine Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten benötigen eine Toilette und ein Pissoir für Männer sowie eine Toilette für Frauen. Bei bis zu 50 Beschäftigten gilt: eine Toilette und ein Pissoir für je 15 Männer, eine Toilette für je 10 Frauen.
Die Universität Basel setzt auf All-Gender-WCs, die diskriminierungsfrei genutzt werden können. Sie kommen auch Eltern mit Kindern unterschiedlichen Geschlechts zugute.
In Österreich zeigt sich die Ungleichheit besonders deutlich. Männer- und Frauenklos haben oft die gleiche Grundfläche, doch auf dieser passen mehr Pissoirs als Sitzklos. Frauen stehen dadurch weniger Toiletten zur Verfügung, obwohl sie diese häufiger und länger nutzen. In der Wiener Gastronomie müssen bei 350 Gästen nur drei Sitzklos für Frauen, aber fünf Vorrichtungen für Männer (zwei Sitzklos, drei Pissoirs) bereitgestellt werden.
Sicherheits- und Infrastrukturprobleme
Mangelnde Toiletteninfrastruktur ist nicht nur unbequem, sondern gefährlich. Langes Warten kann Harnwegsinfektionen und andere Gesundheitsprobleme verursachen, wenn Frauen den Toilettengang hinauszögern oder weniger trinken. Oft weichen sie in abgelegene, unsichere Bereiche aus. Bei Großveranstaltungen bedeutet das: dunkle Parkplätze oder isolierte Ecken. Schlecht beleuchtete Toilettenanlagen verschärfen das Problem. Dunkle Zugangswege, defekte Lampen und versteckte Ecken schaffen Angsträume und erhöhen das Sicherheitsrisiko. Frauen, die wegen langer Wartezeiten entferntere Toiletten aufsuchen, sind besonders betroffen. Moderne Konzepte fordern daher helle, gut einsehbare Sanitäranlagen.
Lösungen und Perspektiven
Einige Länder und Städte reagieren bereits. In mehreren US-Bundesstaaten, Singapur und Teilen Europas gelten Quoten von 2:1 oder 3:1 zugunsten von Frauen. Genderneutrale Einzelkabinen bieten Flexibilität und Inklusivität. Verbesserte Beleuchtungsstandards erhöhen die Sicherheit. Die Potty-Parity-Bewegung zeigt, dass Toilettenfragen weit mehr sind als ein banales Infrastrukturproblem. Sie berühren grundlegende Fragen von Gerechtigkeit, Sicherheit und gleichberechtigter Teilhabe am öffentlichen Leben.
Frauenkleidung verbessern
Und wie sieht es hiermit aus? Einfach mal ein paar Stichworte: Schwangerschaft, Menstruation, Beckenbodenprobleme, Arbeitsschutz. Unsere Hosen müssen funktionieren und tun es nicht. Die Kleidungsindustrie könnte sich mehr Gedanken darüber machen, wie sie Frauen aus dieser Misere hilft, statt nur neue Farben und Schnitte zu entwerfen. Ideen gibt es schon: Drop-Seat-Schnitte (das klappbare Gesäßteil), seitliche Entlastungsreißverschlüsse, längerer Frontladen, Reißverschluss hinten bei Overalls, elastische Bundlösungen fürs Hinhocken, FUDs (Female Urination Devices, Urinierhilfen für die Frau) für Outdoor, Festivals oder Skibekleidung. Aber warum eigentlich nur hier und nicht in der Alltagsbekleidung?
Mode, denk bitte mit!
Was Coco Chanel damals begonnen hat, war ein Meilenstein. Aber Freiheit ist nicht nur Mode, sie ist Praxis. Und vielleicht sollten wir die Hose noch ein kleines bisschen „weiterdenken“. Damit Frauen nicht nur modisch, sondern wirklich frei sind und das mit der Gleichberechtigung nicht in die Hose geht. Auch nicht nachts auf der Landstraße.
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Ungerecht: Weniger öffentliche Toiletten für Frauen als für Männer

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