0, 23, 74 – die Seitenzahlen der drei abgebrochenen Bücher, die auf meinem Nachttisch liegen. Ich bin einfach nicht gemacht für Bestseller. Ich bin nicht die Zielgruppe. Ich glaube mittlerweile, Bestseller sind das Reality-TV des Buchmarkts. Das verkauft sich gut in der Masse. Für mich ist das meistens nichts.
Ich brauche eine glaubhafte, spannende Geschichte. Eine, die mir neue Perspektiven bietet, die mich reinzieht, die mich staunen, schaudern, überraschen, weinen, hoffen, lieben lässt. Ich will Kino im Kopf. Ich will etwas dazu lernen, etwas sehen, was ich vorher nicht gesehen habe, etwas bestätigt bekommen oder etwas, das meine Fantasie anregt, die mich aus dem Alltag holt oder die den Alltag beleuchtet. Ich will Figuren, die mich an jemand erinnern oder solche, die ich gerne kennengelernt hätte, ich will Protagonisten mit Ecken und Kanten, die Charakter haben, die ich lieben oder hassen kann. Ich will Bücher mit Substanz – und einem Plot Twist.
Die drei Romane, die ich hier nenne, will ich nicht verreißen, deshalb gibt es drei kurze Nicht-Rezensionen. Der Erfolg der Autor:innen gibt ihnen recht und man muss es erst mal schaffen, so viele Exemplare zu verkaufen, um auf einer Bestsellerliste zu landen. Es gibt zahlreiche lobende Rezensionen der Bücher, die ich hier gerne verlinken will, damit du dir deine eigene Meinung bilden kannst. Noch dazu ist es mir bei zwei Büchern unangenehm, denn das waren kostenlose Rezensionsexemplare des Verlags. Da geht man schon eine unausgesprochene Vereinbarung ein, wenn man ein Buch zur Verfügung gestellt bekommt, es dann auch zu lesen und ausführlich zu rezensieren.
74 Seiten Unterhaltung mit „22 Bahnen“ und keine mit „Windstärke 17“ von Caroline Wahl
Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhandlungen, Förderpreis des Grimmelshausen-Preises 2023, Ulla-Hahn-Autorenpreis 2023, mit dem Familienromanpreis 2023 der Stiftung Ravensburger Verlag ausgezeichnet, nominiert für den BR Publikumspreis des Bayerischen Literaturpreises 2023, Bayern 2-Publikumspreis, Lieblingsbuch des Deutschschweizer Buchhandels 2024, Tiktok Book Award – und ich hoffe, ich hab keine Auszeichnung vergessen. Wäre ja peinlich, denn ich hab heute keinen Preis für „22 Bahnen“ von Caroline Wahl. Ich habe das Buch auf Seite 74 abgebrochen.
Die Figuren sind schwammig, keine Ecken und Kanten, die Geschichte nicht spannend, der Schreibstil zu einfach für die Themen, die mitschwingen: Suchterkrankung der Mutter, frühe Verantwortung der großen Schwester Tilda für die kleine Ida, die Zerrissenheit zwischen Jugend und erwachsen werden und großer Liebe wird ohne Tiefe und ohne mich zu unterhalten dahin erzählt.
Über 22 Bahnen
Die Geschichte handelt von Tilda, die sich um die kleine Schwester Ida kümmert, weil die alkoholkranke Mutter das nicht (immer) kann. Tilda jobbt an der Supermarktkasse, studiert und zieht im Schwimmbad immer 22 Bahnen. Viktor taucht auf, der Bruder von Ivan, mit dem sie einen Sommer lang verbracht hat.
Details zum Buch: 22 Bahnen
Erscheinungsdatum: 18.04.2023
208 Seiten
Verlag: DuMont Buchverlag
ISBN 978-3-8321-8278-6
Über Windstärke 17
Der Klappentext hat bei mir den Eindruck erweckt, dass die Fortsetzung kaum anders aufgebaut ist als das Debüt. Ich hab kurz reingelesen und mich gegen das Lesen entschieden.
Mit nichts außer dem alten Hartschalenkoffer ihrer Mutter, ein paar Klamotten und ihrem MacBook verlässt Ida die Kleinstadt, in der sie ihr ganzes Leben verbracht hat – vermutlich für immer. Abschiednehmen liegt ihr nicht, sie hat es nicht einmal zur Beerdigung ihrer Mutter geschafft. Am Bahnhof nimmt sie den Zug, der am weitesten wegfährt, bloß nicht zu ihrer Schwester nach Hamburg und landet auf Rügen. Ohne Plan, nur mit Wut, Trauer und Schuld im Gepäck, trifft sie dort auf Knut und Marianne, die sie kurzerhand aufnehmen. Gemeinsam frühstücken sie Aufbackbrötchen, verbringen Tage mit Spaziergängen und Kartenspielen, und abends arbeitet Ida mit Knut in seiner Kneipe. Dann begegnet sie Leif, der ihre Verletzlichkeit teilt, und plötzlich wird das Leben leichter – bis es erneut aus den Fugen gerät.
Details zum Buch: Windstärke 17
Erscheinungsdatum: 15.05.2024
256 Seiten
Verlag: DuMont Buchverlag
ISBN 978-3-8321-6841-4
Beide Bücher wurden mir vom DuMont Buchverlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!
Weitere Rezension zu „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“
Eva-Sophie Lohmeier fasst in ihrem Text „Eisblaue Augen und Herbstmagie – Caroline Wahls Autorinnenschaft“ meine ambivalenten Gefühle zur Autorin und ihren Werken in Worte.
„Eigentlich ist das Genre der gehobenen Unterhaltung ein sehr ehrenwertes. Wenn man mal wenig Lust hat auf Ostkonflikte und komplex verwobene Metaphernfelder, aber noch nicht bereit ist für Buchhandlungen am Meer zum Verlieben, dann greift man gern in diese Sparte. […] Ein wenig knifflig wird die Sache, wenn die Autorin eines Genreromans von sich selbst etwas anderes erwartet, nämlich hohe Literatur. Das ist leider bei Caroline Wahl der Fall. Sie schreibt Unterhaltungsliteratur, aber ihren Äußerungen in den sozialen Medien oder in Interviews ist zu entnehmen, dass sie das ganz und gar nicht so sieht und eigentlich mit einer Nominierung für den Deutschen Buchpreis gerechnet hat.“
Auf der Belletristikcouch kommen verschiedene Meinungen zusammen.
Miriam von Die Schreibmaschine fasst 22 Bahnen zusammen: „Rezension von “22 Bahnen”: leise Liebesgeschichte, die auch sprachlich verzaubert“.
juLiteratur stimmt ebenfalls nicht in die Lobeshymnen ein, zur Rezension.
Auf vorablesen.de gibt es ebenfalls ein paar enttäuschte Kritiken.
Auf Buchmensch.ch schreibt „Diskussion zum Roman «22 Bahnen» von Caroline Wahl“.
Matthias Glatthor hat fürs Börsenblatt aufgeschnappt: „Caroline Wahl: „Unberechtigte Kritik macht mich wütend“. (Upsi, ich will niemand wütend machen, aber naja, soll ich lieber lügen?)
Wir bleiben beim Börsenblatt: „Caroline Wahl zeigt ihre Schürfwunde“.
Eine Rezension zu Windstärke 17 auf vorablesen.de.
Rezension von 22 Bahnen und Windstärke 17 im Podcast Schuss vorm Buch
Steffi und Matz von Schuss vorm Buch Podcast, rezensieren beide Romane in ihrer 107. Podcastfolge und nennen sie „Die (Caroline) Wahl Show“. Die Rezension fällt positiv aus und sie sprechen eine Leseempfehlung aus.
Interviews mit Caroline Wahl
Im Kundenmagazin der lokalen Buchhandlung schoenerlesen.de ist das Interview ein freudiges Wiedersehen.
Die Süddeutsche Zeitung fragt „Bei Ihnen mischt sich manchmal nachdenkliche Unsicherheit mit Größenwahn. Sie sprechen eher leise und bedacht und haben offenbar viel gerungen, um hier als Bestsellerautorin zu sitzen, gleichzeitig hauen Sie krasse Sprüche raus, zum Beispiel, dass Sie die erfolgreichste Autorin Deutschlands werden wollen. Wie geht das zusammen?“, was ich super fand.
Und die Frage, warum Caroline Wahl der Welt ein Interview gegeben oder gar einen ganzen Tag mit dem Autor Frédéric Schwilden verbracht hatte und unwidersprochen ließ, als er „AfD-Wähler. Queere. Migranten. Grüne. SPD-Wähler“ aufgezählt, in einem Satz genannt hat und sie nicht differenzierte, konnte sie mir laut Verlag aus Zeitgründen nicht beantworten.
Nach 23 Seiten war Schluss – von Bavarese hab ich mir mehr versprochen
Aufgewachsen zwischen München und Garmisch, hat mich die Schickeria angezogen, die Nobelklubs, das glitzernde Nachtleben der bayerischen Hauptstadt. Auf dem weltweit größten Saufgelage, dem Oktoberfest – oder im Original: der Wiesn – war ich auch und Freunde arbeiteten auf dem Großmarkt. Entsprechend groß war meine Erwartung an den Roman „Bavarese“ von Leo Reisinger.
Das Versprechen war auch groß, denn bei dem sensationell getexteten Klappentext konnte ich nicht widerstehen.
Ohne Hölle gibt es keinen Himmel
Frühmorgens, wenn die Schickeria in den Münchner Nobelklubs noch zwischen Champagner und Koks auf den Tischen tanzt, gehen auf dem Großmarkt schon die Lichter an. Hier reißt sich Sepko als Handlanger den Arsch auf. Die Schichten sind hart, der Lohn dürftig. Das echte Geld mit den Gastronomen machen andere – auch jenseits der Legalität. Sepko verliebt sich in Lene, die jeden Tag schon im Morgengrauen auf dem Großmarkt einkauft. Um sich und ihren Sohn über Wasser zu halten, beliefert sie einen kleinen Kundenstamm mit ihrem klapprigen Lieferwagen. Doch er ist nicht der einzige, der um Lenes Herz kämpft: Pfeiffer, Gastronom und Wiesnwirt in spe, hat Geld und Einfluss. Unwissentlich entfacht Sepko mit seinen Bemühungen um Lene eine Spirale der Gewalt, die unaufhaltsam eskaliert und sogar die verborgenen Kräfte des organisierten Verbrechens auf den Plan ruft.
Doch leider bin ich nicht in die Geschichte reingekommen. Zu vorhersehbar die Handlung, zu ungenau die Figuren, zu einfach die Dialoge. Ich habe versucht herauszufinden, warum mich die Geschichte nicht fängt. Schließlich ist es ebenfalls ein Besteller auf der Spiegelliste. Als Bestseller gilt ein Buch, sobald 100 000 Stück der Originalausgabe verkauft wurden.
„In den Bestsellerlisten jedoch, die auf unterschiedlichen Methoden zur Erhebungen der Absatz- oder Verkaufsmengen beruhen, werden keine unteren Grenzen festgelegt.“ (Quelle) Auf buchmarkt.de steht, wie die Bestsellerlisten vom Spiegel ermittelt werden.
Kultur-Redakteurin Barbara Hordych war für die SZ auf Leo Reisingers Buchvorstellung im Kinopalast Rio im September 2024 und hat darüber einen Bericht geschrieben: „Ein Prosit auf die Korruption“. Dort werde ich fündig. Ungefähr nach der Hälfte des Berichts steht es: (Die Nachfrage bezieht ich auf die 2. Auflage)
„Die Nachfrage ist umso erstaunlicher, als sich das Projekt „Bavarese“ eher zäh gestaltete. Ursprünglich hatte es Reisinger bereits 2019 fix und fertig als Serienkonzept entwickelt.“
Leider liest es sich genau so. Wie ein Drehbuch. Es fehlen nur noch die Regieanweisungen zwischen den kürzeren Kapiteln und Absätzen: „Kameraschwenk“, „Cut“ und so weiter. Ich weiß, der Erfolg gibt ihm recht, nur für mich ist es einfach nichts. Vielleicht soll es auch als Test herhalten, wie massentauglich die Geschichte ist. Denn was ebenfalls im Artikel steht:
„Inzwischen haben zwar fünf Filmproduktionen bei Reisinger Interesse an dem Stoff angemeldet. Doch die Verfilmungsrechte hat sich bereits die „PSSST! Film“, Produzentin der BR-Serie „Servus Baby“, gesichert. Was bleibt, ist Reisingers Wunsch: Die Rolle des Sepko will er selbst spielen.“
Und das obwohl Buch und SZ-Artikel erst im September 2024 erschienen sind. Romane die schon als Serie oder Film angelegt sind und als „besseres“ Drehbuch abgedruckt werden, sind nichts für mich.
Details zum Buch: Bavarese
Erscheinungsdatum: 11.09.2024
352 Seiten
Verlag: Heyne
ISBN 978-3-453-42915-4
Weitere Rezensionen zu „Bavarese“
Nadine Schmidt schreibt auf krachfink.de: Leo Reisinger – Bavarese – Review.
Leo Reisingers fulminantes Romandebüt – kulturvision-aktuell.de.
Regina Denk hostet den Podcast „Lesen oder nicht lesen?!“ und spricht mit Florian in Folge 4 über „Bavarese“ von Leo Reisinger.
Ich bin nun vorsichtig bei der Wahl der Bestseller. Und wie ist das bei dir? Wann brichst du ein Buch ab? Kennst du eins der hier nicht-rezensierten Bücher? Schreib es in die Kommentarspalte.
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